Schicksal, Pech oder Vererbung?

Multiple Sklerose - Schicksal, Pech oder Vererbung?

Ca. 200.000 Menschen sind in Deutschland von Multiple Sklerose (MS) betroffen, einer chronisch-entzündlichen Erkrankung des Zentralen Nervensystems. Man nennt sie aufgrund der Vielzahl verschiedener Symptome und Ausdrucksformen und -stärken auch die „Krankheit mit den 1.000 Gesichtern“.

Wer die Diagnose einer chronischen Erkrankung erhält, verfällt oft in eines dieser zwei Muster: Aufgeben oder Kampf! Heike Führ hat sich für den Kampf entschieden, einen Kampf mit friedlichem Gesicht, einem Kampf für sich selbst und für das Leben.

Chapeau, Heike!

Und das ist ihre Geschichte:

JA zum LEBEN

Ich habe seit 1994 Multiple Sklerose und bin seitdem schon durch viele tiefe Täler gelaufen, habe Abgründe gesehen und musste erheblich Lebensqualität einbüßen. Das sind harte Erkenntnisse und sie betreffen niemals nur den Erkrankten alleine, sondern auch sein Umfeld.
Nicht zwei MSler haben die gleiche MS. Multiple Sklerose ist die Krankheit mit den 1.000 Gesichtern und das bedeutet, dass bei niemandem die MS gleich ist. Manche brauchen niemals Hilfe oder man sieht ihnen die Krankheit nicht an. Andere brauchen einen Rollstuhl. Daher sollte man niemals einen MSler mit einem anderen vergleichen.

Ich musste viel aufgeben und mich neu orientieren, neue Wege, neue Möglichkeiten finden und daraus Chancen entwickeln. Denn eins war mir wichtig: ich möchte JA zu meinem Leben sagen – mit Beeinträchtigungen, mit Behinderungen, mit sichtbaren und unsichtbaren Symptomen und mit dem Wissen, dass es sich bei MS um eine unheilbare, unkalkulierbare Erkrankung handelt.

Ein JA zum Leben beinhaltet VIEL

Nicht nur das kleine Wörtchen JA, sondern die bewusste Entscheidung für die Verantwortung für mein eigenes Leben und somit auch ein JA zu sich selbst. Ein kleines Wort mit riesengroßer Auswirkung.

Wie oft höre ich von MS-Patienten und anderen chronisch Kranken, dass ihnen am Tag der Diagnosestellung ein „Beenden ihres Lebens“ in ihre Gedanken schlich. So nach dem Motto: Was wird jetzt? Ist das Leben noch lebenswert? Bin ich noch etwas wert?

Das sind leider keine Ausnahmen, sondern ich höre es als aktive Bloggerin wirklich sehr häufig.
Ich selbst hatte diese Gedanken nie, allerdings hatte ich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung auch bereits 2 Kinder (damals 6 und 9 Jahre alt) und mein Mutter-Gefühl war so enorm hoch, dass ich sie nie hätte gehen lassen können…zurücklassen können…. Und irgendwie hat mich die Diagnose auch nicht verzagen lassen. Das ist aber nur meine Geschichte. Viele andere Geschichten sehen schlimmer aus.

Und doch lese ich von genau diesen Menschen dann auch immer wieder, dass sie sich zu einem bewussten JA für ihr Leben entschieden haben. Und heute dankbar sind für diesen Impuls.
Auch MIT MS kann das Leben voller Fülle, voller Liebe und Freude sein.

Ich brauche meine MS nicht, ganz sicher nicht. Ich könnte locker auf sie verzichten und sie hat mir wirklich viel Lebensqualität genommen. Sie hat mir viele Einschränkungen beschert und fiese Beeinträchtigungen. Ich habe Abgründe kennen gelernt und tiefe Täler, ich war auf einem Auge blind und es war gelähmt; ich muss täglich mit Fatigue, dieser abnormen Erschöpfung und Erschöpfbarkeit dealen.

Eine chronische Erkrankung kann alle möglichen Bereiche betreffen und wirkt sich vielfältig aus. An manchen Tagen kann ich mehr erledigen – und manche erledigen mich. Falls mich jemand beobachtet, wie ich etwas tue, sollte er bedenken, dass alles eine große Anstrengung für mich ist. So kostet es mich oft Überwindung, das ein- oder andere überhaupt anzufangen. Wenn ich also nichts tue, dann nicht, weil ich faul bin oder mir eine Auszeit gönne, sondern, weil ich manchmal einfach nicht kann, weil die Kraft fehlt. Überhaupt zu leben, das bedeutet tägliche Höchstleistung und fordert und braucht all meine Kraft und Energie. Mein größter Wunsch ist, dass man das versteht und berücksichtigt!

Ein JA zu mir selbst

Ich habe auch gelernt, dass man Abgründe überstehen kann, dass man die tiefen Täler wieder verlassen kann und sich das Leben einfach immer weiterdreht. Man muss nur, nachdem man wieder aufgestanden ist, auf den fahrenden „Zug“ aufspringen – das ist wohl die Kunst.

Ich lasse mich nach dem berühmten „Hinfallen, Aufstehen, Krone richten und weiterstolpern“ gerne wieder vom Leben einfangen und versuche jedes Mal wieder, möglichst schnell den Anschluss zu finden. Den Anschluss ans Leben, an die Normalität und den Alltag.
Dass unser MS-bedingter Alltag eventuell anders ist, als ein Alltag von gesunden Gleichaltrigen, ist eine Tatsache, die wir ernst nehmen müssen. Wir müssen sie aber genauso auch AN-NEHMEN, akzeptieren und als gegeben hinnehmen. Sonst packen wir es nicht, den Anschluss zu bekommen und zu erhalten.

Ein Gewahrsein der eigenen Beeinträchtigungen ist deshalb psychologisch gesehen so unendlich wichtig, weil wir uns dann selbst BEWUSST sind, selbst gewahr sind und uns, unseren Stärken und Schwächen mit Achtsamkeit begegnen können. Achtsamkeit uns selbst gegenüber ist einer der Schlüssel zum glücklichen Leben.

Ich bin mir BEWUSST, dass mein Leben glücklich ist. Ich habe einen tollen Ehemann, 2 tolle Kinder samt Partnern und Enkelchen, eine wundervolle Familie und einige sehr gute und enge Freunde. Ich habe ein (hübsches) Dach über dem Kopf und ich habe meine Erfüllung im Schreiben und Bloggen gefunden.

Alles in allem habe ich ein wundervolles Leben, selbst mit MS. Neue Chancen und Möglichkeiten haben sich aufgetan, neue Entdeckungen, neue Beziehungen wurden möglich und vielleicht wurde sogar eine neue Heike möglich, die es vorher im Strudel des „Arbeitengehens“ niemals gegeben hätte.
Ich bin deshalb dankbar. Nicht der MS dankbar – niemals. Aber dankbar, dass ich JA zu meinem Leben gesagt habe. Das wünsche ich auch EUCH! ?

Heike Führ

PS: Es wird vielleicht nicht mehr besser…aber ich werde besser! ?

PPS: Weitere Texte und eine Aufstellung meiner Bücher findet Ihr unter: www.multiple-arts.com

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